Führen auf Distanz

Digital Leadership – Führen von digitalen Gemeinschaften

Durch das Coronavirus bekommt ein vielerorts schon etabliertes Thema eine existentiell neue Bedeutung: digitale Teamarbeit und digitale Führung. Virtuelle Teams brauchen eine andere Führung als Präsenzteams: In der Praxis fehlt es virtuellen Teams an vertrauensbildenden Maßnahmen, an erlebbarer Emotion und oft noch an Spielregeln. Permanenter Datenzugriff und geringe Kontrollmöglichkeiten führen zu Machtverschiebung weg vom Digital Leader.

In Ihrer Studie „Virtuelle Teams“ zeigen Albrecht und Albrecht-Goepfert schon 2012, dass Manager im Alltag ähnliche Erwartungen an virtuelle Teams stellen wie an herkömmliche Präsenzteams. Häufig unterscheidet sich auch die Führung eines virtuellen Teams nicht von der Führung eines Präsenzteams, obwohl es  völlig andere Anforderungen und Rahmenbedingungen hat. Unabhängig davon, ob existierende Teams durch Corona in die Virtualität gezwungen werden, oder ob es sich um ein von Beginn an auf Distanz angelegtes Team handelt: Die täglichen Rituale zum Vertrauensaufbau wie z.B. Das Gespräch in der Kaffeeküche, das Mittagessen und die Präsenszeit in Meetings fehlen. Auch bilaterale Telefonate oder Austausch im Chat können diese wichtigen informellen Bausteine, die Unternehmenskultur formen, kaum ersetzen. 

Vertrauensaufbau gezielt fördern

Im Gruppenprozess wachsen im Präsenzteam mit der Zeit der Teamspirit, das gegenseitige Vertrauen und das Commitment für gemeinsame Ziele. Auch das Durchleben und Erleben von Konfliktsituationen und Emotionen in der Storming-Phase (Teamuhr nach Tuckmann) gehört dazu. Teams, die virtuell angelegt sind oder, die nun in die Virtualität gezwungen sind, müssen darauf ein Stück weit verzichten.
Für vier von fünf Managern ist nach Albrecht und Albrecht-Goepfert Vertrauen ein entscheidendes Fundament für virtuelle Teams, gerade weil eine enge Kontrolle bzw. kurz getaktete Absprachen oft nicht mehr möglich sind. Gerade in der Startphase kann der Digital Leader  im 1:1 Kontakt zunächst die Vertrauensbasis zwischen jedem einzelnen und sich selbst festigen.

So können Sie gezielt Vertrauen als digital Leader aufbauen:

  • Stellen Sie Transparenz durch schnellen und vollständigen Informationsfluss sicher
  • Finden Sie Gemeinsamkeiten zwischen allen Teammitgliedern
  • Minimieren Sie Wettbewerb innerhalb des Teams
  • Geben Sie dem ganzen Team positives Feedback
  • Lassen Sie Emotionen zu und teilen Sie Ihre eigenen Emotionen mit dem Team
  • Geben Sie einen Vertrauensvorschuss

Werkzeuge und Spielregeln sind nicht selbstverständlich

Jedes Team braucht andere Werkzeuge und muss sich seine Spielregeln selbst erarbeiten. Nach Prof. Dr. Jürgen Weibler hat weniger als ein Drittel aller virtuellen Teams zu Beginn eine Team Charta oder gemeinsam ausformulierte Richtlinien. Ein Digital Leader tut gut daran, gleich zu Beginn zu klären, wie das Team zusammenarbeiten möchte, wie das Arbeitsvolumen, die Rollen und Verantwortlichkeiten verteilt werden sollen. Das steht den wiederbelebten Schlagworten Autonomie und Selbst-verantwortung nicht entgegen, die Teammitglieder können diese Eigenschaften nach der Startphase noch genug zeigen.

Darauf kommt es für den Digital Leader bei der Führung einer digitalen Gemeinschaft an:

  • Zeitpläne fixieren, Meetings terminieren
  • Ziele, Verantwortlichkeiten u. Entscheidungswegen sowie Soll-Response Time festlegen
  • Transparenz von individuell zugeteilten Arbeitsaufträgen u. Status, Meilensteinübersicht
  • Feedbackrunden im Sinne von Review und Retrospektive (im Team wie individuell)
  • Wege zur Konflikteskalation und -regulierung erklären
  • Bewusstsein schaffen für “Gruppenergebnis satt Einzelergebnis“.

 

Die digitale Gemeinschaft bricht mit traditionellen Machtverhältnissen

“In einem vorwiegend oder gar rein digitalen Organisationskontext verschieben sich die Machtverhältnisse – und zwar tendenziell zu den Geführten hin. Die Legitimationsmacht des Vorgesetzten (formale Position) wird durch Digitalisierungsprozesse aufgeweicht oder gar umverteilt“, so Dr. Jürgen Weibler, Professor für Personalführung und Organisation an der FernUniversität in Hagen. Hierarchische Machtinstrumente wie Anweisungen oder Verbote funktionieren in einer digitalen Welt kaum mehr. Mehr denn je geht es darum, intrinsische Motivation zu wecken. Eine digitale Gemeinschaft wird eventuell nur noch durch Soziale Medien und Webconference-System mit virtuellem White Board zusammengehalten. Der Digital Leader muss also im Sinne von Lateral Leadership Tiefe statt Oberflächlichkeit schaffen, denn viele Teammitglieder sind auch noch in mehreren virtuellen Teams und Welten unterwegs. Auch Macht, die auf Expertentum oder Informationsvorsprung beruht, funktioniert in einem System, das mit mobilen Endgeräten, portablen Speichermedien permanent online ist, und alles aus Intra- oder Internet beziehen kann, nicht mehr. In Echtzeit kann in der digitalen Gemeinschaft jede Information gepostet und kopiert werden, völlige Transparenz ist die Folge. Wer diese neuen Datenmengen interpretieren kann, wer Information filtern und bewerten kann, der hat in Zukunft echte Macht.

Quellen:
„Virtuelle Teams und Digitale Führung“ unter: www.leadership-insiders.de, Autor: Prof. Dr. Jürgen Weibler, 15. Februar 2017 in „Führung im Fokus“
„Vertrauen, Verantwortung, Motivation und Kommunikation: Was Führung in virtuellen Strukturen von klassischer Teamarbeit unterscheidet“ in Personalführung 6/2012, Autoren: Prof. Dr. Arnd Albrecht u. Prof. Dr. Evelyn Albrecht-Goepfert.

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