Selbstmanagement und gesund führen

Führung geht nicht nebenbei. Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern als Ressource dienen und sollen selbst Vorbild statt zusätzlicher Stressor sein. New Work mit der steigenden Entgrenzung, Beschleunigungund hohen Erwartungen an Erreichbarkeit sowie Verfügbarkeit verlangt zunächst gute Selbstführung. Sie ist die Voraussetzung, um andere gut führen zu können.

Die Merkmale, die New Work beschreiben, sind vielfältig und brutal zugleich: Entgrenzung, Beschleunigung und Informationsflut, Verdichtung, hohe Erwartungen an Erreichbarkeit sowie Verfügbarkeit, eine massive Zunahme von Berufspendlern.
Organisationen verlangen immer mehr Leistung von ihren Mitarbeitern. Die Menschen versuchen, diese Erwartungen zu erfüllen, aber die übliche Methode – mehr und damit länger zu arbeiten – schlägt fehl. Viele Mitarbeiter sind erschöpft, distanzieren sich und werden krank. Einfache Rituale zu pflegen, die den Mitarbeitern helfen, ihre Energie regelmäßig zu regenerieren, hilft Organisationen dabei, das physische, emotionale und mentale Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Unternehmen, die in Vorbereitung auf den demographischen Effekt nicht auf den Wettbewerbsfaktor Mitarbeitergesundheit setzen, werden als unattraktiv gelten. Offenkundig gibt es ein Missverhältnis zwischen Arbeitsmenge und der dafür zur Verfügung stehenden Zeit. Laut der Stressstudie der Techniker Krankenkasse »Entspann Dich Deutschland« von 2016 empfinden rund zwei Drittel der Berufstätigen ihr Pensum als zu hoch und deshalb belastend. Dies ist nicht nur im Hinblick auf Stress ein ernstzunehmender Befund. Auch für die Qualität der Arbeit hat dies negative Konsequenzen: Wer es kaum schafft, seine tägliche Todo-Liste abzuarbeiten, dem bleibt in der Regel keine Zeit für kreatives Denken oder strategische Überlegungen. In eine ähnliche Richtung gehen im Ranking der Top-Stressoren im Job die Plätze zwei und drei. Laut TK-Studie stressen Termindruck und Hetze sechs von zehn Berufstätigen, jeden Zweiten nerven außerdem Unterbrechungen und Störungen. Kein Wunder, wenn ohnehin nicht genügend Zeit da ist, um sämtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Rund ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung nennt Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Stressfaktor.


Gesundheitsrisiko Führungskraft
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, das »Gesundheitsrisiko Chef« in den Griff zu bekommen: als belastend werden ungenaue Anweisungen und Vorgaben empfunden. Knapp 40 Prozent sind es jeweils, die hierin eine Ursache ihrer Belastung sehen. Aber nicht nur ein Zuviel an Kommunikation kann schaden, auch ein Zuwenig: 39 Prozent der Beschäftigten stresst die mangelnde Anerkennung der eigenen Leistung. Rund drei von zehn Berufstätigen stresst ein zu geringer Handlungsspielraum, fast ebenso viele belastet es, auch in Freizeit und Urlaub erreichbar sein zu müssen. Zudem gibt die TK-Untersuchung an, dass schlechte Stimmung im Team für knapp 30 Prozent eine Stressursache ist. 20 Prozent klagen über Probleme mit Vorgesetzten. Bereits 2011 belegten Studien, dass Führungskräfte z. B. den Krankenstand in ihren Abteilungen mitnehmen. Ein Automobilhersteller hat probeweise 43 Vorgesetzte mit überdurchschnittlich hohem Krankenstand in Bereiche mit niedrigen Fehlzeiten versetzt. Schon nach kurzer Zeit kletterten die Fehlzeiten in den ehemals vorbildlichen Abteilungen nach oben. Die neuen Chefs erreichten bereits nach einem Jahr wieder ihre alten Krankenzahlen (vergl. Spiegel online 29.7.2011).


Gesund führen
Gesund zu führen, beeinflusst die psychische Gesundheit sowie das Unternehmensergebnis positiv. Führungskräfte können Mitarbeiter durch vernünftiges Führungsverhalten stärken, Freude und Motivation an der Arbeit fördern, Gemeinschaft und Zusammenhalt stärken. Auf die Frage »Was hindert Sie daran, Ihre Führungsrolle optimal auszufüllen, gaben 60 % »fehlende Zeit« an. (Studie der Deutschen Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH, 2009). Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern als Ressource dienen und sollen selbst keine Stressoren sein. Viele Führungskräfte sind der Meinung, Führung geht nebenbei und konzentrieren sich auf fachliche Aufgaben. Bereits 2005 belegt eine Studie der ETH Zürich, dass Anerkennung, Zeit für Gespräche, das Eingestehen von eigenen Fehlern und auf die Ideen der Mitarbeiter einzugehen, die Fehltagezahl um zwei Tage senken kann. In Unternehmen, in denen diese vier Führungsverhalten fehlten, gaben doppelt so viele Beschäftigte an, erschöpft zu sein und viermal so viele beschrieben depressive Symptome. Ein Führungsstil, der auf Unterstützung, Wertschätzung und Kooperation beruht, reduziert Stress und motiviert. Schon kleine Anpassungen Ihres Führungsverhaltens werden von Mitarbeitern bemerkt und können die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter verbessern.


Selbstführung
Führungskräfte sind heute oft harten Belastungen ausgesetzt: Dauerverfügbarkeit, Überstunden, Interessenskonflikte und Verantwortungsdruck. Wenn beim Chef wieder einmal die Nerven blank liegen, bekommen das auch auf die Mitarbeiter zu spüren. Führungskräfte müssen zuerst sich selbst führen und mit ihren eigenen Belastungsspitzen umgehen können, bevor sie andere führen und Einfluss auf die Belastungen der Mitarbeiter nehmen. Wie gut verstehe ich meine eigenen physischen und psychischen Sensoren und Signale? Kann ich meine Stimmung und mein Denken interpretieren? Wie motiviere ich mich? Mitarbeiter haben es schwer, die geforderten Werte wie Offenheit, Agilität, Wertschätzung, Verlässlichkeit oder Lösungsorientierung zu leben, wenn der Chefdas Gegenteil tut. – Menschen lernen am Modell. Stehen Sie zu Ihren Schwächen, so gewinnen Sie an Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Gelingt Führungskräften eine gute Selbstführung, werden sie zum Vorbild. Die Bedeutung der Vorbildfunktion wurde lange unterschätzt. Mitarbeiter merken schnell, wie ihr Chef mit seiner eigenen Gesundheit umgeht. Arbeitet er sechzig Stunden in der Woche und lässt seine Pausen ausfallen? Sendet er bis tief in die Nacht und am Wochenende Mails? Wie ernährt er sich und hält er sich fit? Den eigenen Umgang mit Stress zu reflektieren, ist die Voraussetzung, Belastungseffekte und Verhalten auch bei den Mitarbeitern wahrzunehmen und einzuschätzen. Ein Chef, der Jammern über Stress als Schwäche deutet, wird vermutlich nicht bereit sein, Belastung bei seinen Mitarbeitern zu thematisieren und durch gesundheitsorientierte Führung zu reduzieren. Gesundes Führen bedeutet also, auf Selbstführung und Mitarbeiterführung im Zusammenhang zu blicken. Eine Führungskraft ist kein Arzt oder Psychiater und soll es auch nicht sein. Jeder muss sich dieser Grenze bewusst sein. Arbeit und Leben sind nicht voneinander zu trennen. Das Wort Work-Life-Balance kann so verstanden werden, dass Arbeit kein Teil des echten Lebens ist und für Stress und Krankheit verantwortlich ist. Glück und Auftanken soll dann nur im anderen Leben stattfinden? Menschen können Kraft, Freude und Sinn aus allen Feldern menschlicher Betätigung ziehen: dem Beruf, dem Familien- und Privatleben.


Selbstmanagement bedeutet Selbstführung
Renate Freisler und Katrin Greßler sehen Selbstmanagementkompetenz als ein Puzzle von sieben Handlungsfeldern, die sich gegenseitig beeinflussen:

  • Handlungswirksame Ziele setzen
  • Eigene Stärken und Schwächen kennen
  • Individuelle Belastungen reduzieren
  • Soziale Beziehungen aufbauen und pflegen
  • Selbstkontrolle und Selbstregulation
  • Effektiver Umgang mit Informationen und Zeit
  • Ressourcen aktivieren und nutzen

Für die Praxis Es gibt einfache und schnell umsetzbare Maßnahmen, um sich als Führungskraft effektiv zu organisieren: Zunächst ist es wichtig für eine störungsfreie Arbeitsatmosphäre zu sorgen. Im zweiten Schritt ist zielgerichtete Vorbereitung und damit Terminierung von Arbeitspaketen der Schlüssel für weitere Schritte wie z. B. Delegation. Die Zusammenlegung von Tätigkeiten – die Bündelung – ist ein weiteres Prinzip, mit dem Sie die nächste Stufe der Selbstorganisation erreichen können. Nun wird es schwieriger: Um Aufgaben an andere abzugeben, müssen Sie in der Vorbereitung Klarheit darüber gewonnen haben, was Sie bis wann von wem wiederhaben wollen. Dies gilt es im Auge zu behalten und ggf. mit Feedback zu steuern. Nicht vergessen: Das eigene Auftanken. Wo und wie bekommen Sie Energie, welche Tätigkeiten erledigen Sie morgens, welche am Nachmittag? Zum Ende der Treppe kommt der innere Schweinehund ins Spiel. Nein sagen und abgrenzen ist eine ebenso hohe Kunst wie der Umgang mit digitalen Medien, insbesondere dem Smartphone. Als gut selbstorganisierter Leader fließt Ihre gesamte Kommunikation in dafür geplanten und gut vorbereiteten Regelrunden, Einzelrücksprachen und effektiven Meetings.         


Zusammengefasst gilt es diese 8 Felder im Blick zu behalten:
Taktung: In welchem Takt läuft meine Regelkommunikation?
Umgang mit digitalen Medien: Bin ich permanent erreichbar? Beantworte ich Mails sofort?
Abgrenzen: Nein sagen lernen, Pareto Prinzip: 80 / 20-Regel, Was nicht wichtig und dringend ist, wird terminiert oder entfällt. Regelmäßig entrümpeln.
Auftanken organisieren: Wo tanke ich auf? Kurze Pausen nach Arbeitsphasen, Biorhytmus beachten: Nutze ich die Tageszeiten entsprechend der Biokurve genügend (Konzentration am Vormittag, Kommunikation am Nachmittag, Nachtarbeit vermeiden)?
Delegieren und Alignment: Ist mein Unterbau »in line« mit meinen Zielen? Arbeiten alle in derselben Richtung ausgerichtet (Alignment)? Gibt es einen Parallelprozess, bei dem ich meine Mitarbeiter in ihrer Selbstorganisation unterstützen kann? Traue ich meinen Mitarbeitern genug zu oder kann ich selbst alles am besten? (Wer kann mich in einem Gremium oder Meeting vertreten?)
Bündelungsprinzip: Mails, Termine, Rückrufe und Telefonate, gleichartige Tätigkeiten, Zusammenlegung und Frequenz von Meetings überprüfen.
Zielgerichtete Vorbereitung: von Kommunikation, von Delegation, Terminblocker für Vorbereitung setzen, Zusammenstellen von Arbeitspaketen für mobiles Arbeiten / Zugreisen. To-do-Liste mit Priorisierung für den nächsten Tag am Abend, To-do-Liste für die Woche, Themenspeicher.
Für störungsfreie Atmosphäre sorgen: Keine Gespräche zwischen Tür und Angel, in Arbeitsphasen Telefon umstellen oder Handy ausschalten, Spielregeln dafür einführen (offene / geschlossene Bürotür). Im Team- oder Großraumbüro sich auch mal Concept Time nehmen (z. B. einen Meetingraum buchen). Biokurve beachten: schwierige Aufgaben morgens einplanen, nicht nachts arbeiten.
 


Quellen:
Entspann Dich Deutschland, Stressstudie der Techniker Krankenkasse 2016
Leadership-Kompetenz Selbstregulation von Renate Freisler und Katrin Greßler, Leadership kompakt, Manager Seminare Verlags GmbH 2018
Gesunde Führung von Roman Feßler, Beate Guldenschuh-Feßler, BoD – Books on Demand, 2013
Gesund führen von Nicole Strauss, Der Trainerverlag 2013
New Work: Wie wir morgen tun, was wir heute wollen von Isabel Kürschner Goldegg Verlag, 2015
Gesundheitsorientiert führen von Dr. Detlef Schönherr, SchoenherrConsult, www.schoenherrconsult.at
Führungsrollen. Beruf und Berufung deutscher Manager, Die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH. Studie 2009, Download unter: www.die-akademie.de / fuehrugnswissen/akademie-studien
Gesund führen – sich und andere! von Fischer, ETH Zürich, CASH vom 10.2.2005, zitiert nach Matyssek, Bad Norderstedt 2011