Arbeitswelt 4.0: permanent online?

Arbeitswelt 4.0: Teamarbeit und Problemlösung permanent online?

Permanent online und permanent verbunden: das neue Normal. Smartphones sind soziale Tools, die unser Verhalten im Alltag verändern. Noch wissen wir nicht genau, wie sie unser Innenleben und unsere Beziehungen durch das andauernde Miteinander-verbunden-Sein genau beeinflussen. Aber schon heute ist „offline sein“ für viele eine unkomfortable Notsituation. In der Vergangenheit gab es keine Technologie, die so schnell unseren Alltag erobert hat wie Smartphones und Tablets. Sich in der Zukunft zu verwirklichen, setzt permanente Verbundenheit voraus.
 
Prof. Peter Vorderer, Leiter des Instituts für Medien und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim und Prof. Christoph Klimmt, Leiter des Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule Hannover, untersuchen, welche Folgen die permanente Online-Kommunikation für unseren Alltag hat und stoßen dabei auf interessante Ergebnisse. Im Artikel „Das neue Normal“ in der Zeit (Nr. 5 im Januar 2016) setzen sie sich kritisch mit den neuen Verhaltensmustern, die durch die permanente Verbundenheit erzeugt werden, auseinander.


Zusammenarbeit und Beziehung: Unverbindlichkeit und Entgrenzung?

Die Anwesenheit in Arbeitsgruppen, Hilfsangebote für Kollegen oder auch Zusagen zu Einladungen lassen sich schnell per Smartphone tätigen und unter Umständen auch schnell und kurzfristig wieder stornieren. Wird die Zuverlässigkeit der Vergangenheit in Zukunft unverbindlicher? „Ich schicke Dir eine Mail“ – das Phänomen, Optionen offenzuhalten, greift um sich. Ist die Bereitschaft, sich auf Verabredungen festzulegen in Zukunft geringer? Sicherlich steckt darin auch ein großer Anteil neuer Unabhängigkeit und hoher Flexibilität. Ist das Glas halb leer, würde es Loyalitätsverlust und geringere Verantwortungsbereitschaft bedeuten. Smartphones während Workshops, Konferenzen  und Meetings gehören heute dazu. Ständige Erreichbarkeit und Kommunikation in Parallelwelten sind heute Normalität.
Nicht nur im Beruf, sondern auch privat gibt es keine Begrenzung. Unsere Autoren vermuten, dass dies auch unser Verständnis von Intimität verändert. Konversationen verlaufen im Dauerzustand: immer wieder unterbrochen, immer wieder fortsetzbar. Es entsteht das Gefühl, einen Kontakt jederzeit und überall (wieder)herstellen zu können. Das könnte auf Kosten von Geschlossenheit, Kohärenz und Effizienz gehen, es könnte aber auch das Gefühl von Verbundenheit und dauerhafter Gemeinsamkeit im Alltag stärken.
Das Teilen von Erfahrungen als wichtiger Aspekt in Beziehungen verlagert sich auf das mobile Endgerät. Auch weil das Erlebte z. B. per Video spektakulärer und anschaulicher bezeugt wird als durch eine Erzählung. Die heutigen Nutzer freuen sich, wenn sie Beachtung und Aufmerksamkeit erhalten. Bedeuten anonyme Likes und Smilies heute mehr als persönliche Wertschätzung?
Heute sehe ich wie schnell der Empfänger meine Nachricht liest, ich weiß, wann er online war. Darüber kann ich mich freuen oder mir Sorgen machen. Ist das mehr soziale Kontrolle als früher?


Problemlösung: Verlust von Intuition und Kreativität?

Die Kommunikationsforscher Vorderer und Klimmt zweifeln an, dass Big Data und undurchsichtige Datendarstellungen und -interpretationen die Lösung jeder Fragestellung sind. Intuition und Bauchgefühl gingen dadurch verloren, ein blindes Vertrauen auf bunte Bilder könnte sich durchsetzen.
Der Rückgriff auf Google und auf andere vernetzte Unser ist jederzeit möglich: Wie viel ich also selbst weiß, wird in Zukunft nicht mehr so wichtig sein, sondern wie ich die angebotenen Informationen bewerte.
Wenn ich 100 Kontakte mit ihrer Schwarmintelligenz in Echtzeit befragen kann, warum soll ich selbst noch innovativ sein?


Der hochvernetzte User tut nie mehr nichts

Das neue Bio ist die Nichtverbundenheit: Es gibt Apps, die Nichtvernetzung sicherstellen. Sich abzugrenzen, wird zur hohen Kunst. Für den hochvernetzten Menschen ist Nichtstun immer schwerer. Das Smartphone ist Zeitfüller und Stimmungsregulator.
Das mediale Erlebnis ersetzt den Tagtraum. Eine unendliche Fülle an Nachrichten, Informationen und Sensationen strömt permanent auf uns ein und ist immer gegenwärtig. Immer wird noch einmal etwas draufgesetzt, die Messlatte unserer Zufriedenheit wird Stück für Stück nach oben geschoben. Das gezielte Auswählen gehört der Vergangenheit an, im Gepäck ist immer alles.


Zustimmung und Performance statt Authentizität und eigener Standpunkt: Werden wir uns verändern?

Positionen anderer zu kommentieren oder zu liken, bedeutet, passiv Stellung zu beziehen – die eigene Meinung muss nicht formuliert werden. Ich stimme lediglich zu oder nicht, ich schließe mich an oder nicht.
Es gibt kaum Facebookseiten, auf denen sich Menschen negativ, mit Schwächen darstellen. Erfolgsmeldungen, tolle Fotos und Erlebnisse stehen im Vordergund. Eine heile Welt der Perfomance und des Erfolges. Diese Online-Profile auszufüllen, ist harte Arbeit.
Die Autoren zeigen außerdem auf, dass hochvernetzte Menschen Geheimnisse eher preisgeben, um soziales Kapital wie Image, Aufmerksamkeit, Bewunderung in ihren sozialen Netzwerken zu bekommen.
Das neue Normal des Online-Seins erhöht laut den Autoren unsere Problemlösungsfähigkeit. Schwarmintelligenz, Datenmengen und Geschwindigkeit helfen uns in Arbeitsteams oder im Privatleben aus der Patsche. Selbstständiges Denken und damit auch die Übernahme von Verantwortung könnten in den Hintergrund treten.
Vermutlich gilt in der Zukunft beides: Die Technologie nimmt uns ein Stück Denken ab und die Weisheit der Vielen beschleunigt unsere Problemlösung.
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