Innovationen führen

Innovationen führen

Was macht eine innovative Führungskraft aus?

Warum sind manche Organisationen in der Lage, immer wieder Innovationen hervorzubringen während andere kaum Innovation betreiben? Untersuchungen von Linda A. Hill, Professorin für Business Administration an der Harvard Business School und eine der weltweiten Top Experten für Leadership zeigen, dass Führung ein wichtiges Teil des Puzzles ist.  Während viele Führung und Innovation als getrennte Disziplinen erlernt haben, haben überraschend wenige die Verbindung zwischen beiden erkannt und näher untersucht.

Das Team und Linda A. Hill verbrachte mehr als eine Dekade damit, herausragende “Leaders of Innovation“ in Aktion rund um den Globus zu beobachten – von Silicon Valley, Europa and den Vereinigten Arabischen Emiraten bis nach Indien, Afrika und Korea.


Innovationsgemeinschaften

Obwohl sie alle Visionäre und in der Lage waren, eine Vision schaffen und andere zu inspirieren, diese Ziele zu verfolgen, betrachtete keiner von ihnen dies als ihre hauptsächliche Rolle. Stattdessen verstanden sie sich als “soziale Architekten“, deren Rolle es war, den Rahmen zu gestalten. Sie schufen Gemeinschaften, in denen andere bereit und fähig waren, innovativ und kreativ zu sein.  Hinter die Kulissen von fast allem, das neu und nützlich ist, stecken oft viele Hände, selten die eines einzelnen Erfinders. Innovation ist ein “Mannschaftssport“.        
Die involvierten innovativen Führungskräfte glaubten, dass scheinbar normale Menschen das Potenzial haben, außerordentliche Beiträge zur Innovation zu leisten: dass jeder ein Stück Genie besitzt. Sie berichteten, dass es also die Aufgabe des Leaders sei, Talente zu entfesseln und individuelle Genieanteile zu nutzen und zusammen zu führen, um durch kollektives Genie erstaunliche Lösungen zu schaffen.
Das Forschungsteam kam zu dem Schluss, dass effektive Führungskräfte drei organisatorische Schlüsselfähigkeiten aufbauen um sicherzustellen, dass ihre Organisationen in der Lage sind, routinemäßig Innovation zu betreiben. Diese Fähigkeiten sind:

  1. Kreative Reibung:  Diese Fähigkeit zur kollaborativen Problemlösung beinhaltet die Fähigkeit, durch Diskurs und Debatte einen Marktplatz der Ideen zu generieren. Es erfordert eine gesunde Gesprächskultur des Zuhörens, Nachfragens und Eintretens für die eigene Sache. Bahnbrechende Ideen entstehen selten ohne Gedankenvielfalt und Konflikte.
  2. Kreative Agilität: Die Fähigkeit, durch Entdecken zu lernen beinhaltet Experimentieren durch schnelles Erproben, Reflektion und Anpassung. Üblicherweise mit Design Thinking assoziiert, ist diese Fähigkeit eine Mischung aus wissenschaftlicher Methode und künstlerischem Schaffen – in der man seinen Weg in die Zukunft mehr aktiv und spontan gestaltet statt langfristig plant.
  3. Kreative Entschlossenheit: Dies ist die Fähigkeit, neue und bessere Lösungen zu schaffen indem man diverse Ideen (auch gegensätzliche) in unerwarteter Weise kombiniert. Es wird nicht zugelassen, dass ein Einzelner oder eine Gruppe die anderen dominiert – weder Vorgesetzte noch Experten. Eher folgt das Team einem geduldigen und alle einschließenden Ansatz der Entscheidungsfindug, der „Sowohl-Als-Auch“ (“both-and”) und/oder „Entweder-oder“ (“either-or”) Lösungen ermöglicht.

Diese Fähigkeiten zu kultivieren, erfordert eine anderes Mindset und andere Talente als ständig für alles Zuständig zu sein oder immer die Richtung festzulegen.

Herz und Verstand
Man kann niemandem befehlen, innovativ zu sein. Wenn Menschen nicht freiwillig ihr Herz und ihren Verstand öffnen, ist es unwahrscheinlich, dass sie ihre besten Ideen beitragen. Das Etablieren der drei Fähigkeiten (kreative Reibung, Agilität und Entschlossenheit) macht es erforderlich, dass Führungskräfte Organisationen schaffen, die willens sind, innovativ zu sein. Eine Kultur der Gemeinschaft in einer Organisation zu kultivieren, weist folgende drei Schlüsselqualitäten auf:

  1. Gemeinsames Ziel: Mitarbeiter erdulden die persönlichen Herausforderungen wie Druck und Frustration bei der Innovationssuche, wenn sie das Gefühl haben, Teil einer Gruppe zu sein, die etwas gemeinsam angeht, was alleine nicht zu schaffen wäre.
  2. Geteilte Werte: Mitglieder innovativer Organisationen sind sich darüber einig, was wichtig ist. Werte beeinflussen individuelle und kollektive Handlungen und bestimmen die Prioritäten und Entscheidungen der Gruppe. Wir fanden heraus, dass innovative Organisationen vier Schlüsselwerte zugrunde legten: mutige Ambition, Kollaboration, Lernen und Verantwortung.
  3. Gemeinsame Regeln des Engagements: Um sicherzustellen, dass Mitarbeiter sich sicher fühlen, Ideen beizutragen, schaffen Führungskräfte gegenseitiges Vertrauen und Respekt. Leiter achten darauf, wie ihre Mitarbeiter denken. Sie bitten jeden, alles zu hinterfragen und einen ganzheitlichen Blickwinkel einzunehmen.


Ein neuer Ansatz zur Leadership

Innovation leiten bedeutet vor allem, die Bühne herzurichten, nicht nur zu performen. Statt gleichgeschaltete Followers zu schaffen, streben “Innovative Leaders“ danach, Vielfalt zu erzeugen. Anstatt Konflikte und Missgeschicke zu vermeiden, drängten sie Teammitglieder, konstruktive Debatten zu führen und zu experimentieren. Sie waren ständig dabei, Widersprüche auszubalancieren, die mit dem Innovationsprozess verbunden sind, wie etwa zum Lernen zu ermutigen. Aber was vielleicht am wichtigsten ist: Sie erkannten die Genialität derer, die sie umgaben und verließen sich darauf.
Eine der talentiertesten InnovationsleiterInnen, die das Forschungsteam beobachtete, wurde früh in ihrer Karriere gewarnt, dass, wenn sie „weiterhin von hinten führe“, ihre Aussichten auf Erfolg begrenzt seien. Glücklicherweise folgte sie ihren Instinkten und schuf eine der innovativsten Regionen in ihrer Organisation. Es besteht also die Gefahr, jene Menschen zu übersehen, die das meiste Potenzial haben, die führenden Leiter von Innovationen zu werden.
Die Führungskräfte von heute müssen die nächste Generation von Führungskräften heranziehen. Zuerst müssen wir unsere eigene Mentalität und unsere Gewohnheiten analysieren. Glauben wir, dass es unsere Aufgabe ist, die Richtung zu weisen und sicherzustellen, dass niemand davon abweicht? Halten wir an der Vorstellung eines visionären frontalen Führungsstils fest? Oder sind wir zufrieden damit, der “stage setter” zu sein, dessen primäre Rolle es ist, einen Kontext zu schaffen, in dem unser Team Innovation betreiben kann? Haben wir den Mut und die Geduld, die nötig sind, um Differenzen zu vertiefen, selbst wenn die Diskussionen hitzig werden und wenn Unklarheiten und Komplexität lauern? Um eine nachhaltige Zukunft für unsere Organisationen und Gemeinschaften aufzubauen, ist es an der Zeit, dass wir alle Leadership neu denken und lernen kollektive Genialität zu schaffen.

Autorin: Linda A. Hill, Wallace Brett Donham Professor of Business Administration, Harvard Business School, Faculty Chair, Leadership Initiative
Quelle World Economic Forum 2016: www.weforum.org

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